Was uns immer noch bewegt
oder: Warum wir auch politisch ins 21. Jahrhundert kommen sollten
Im Mai 2020 haben wir wattenswandeln gegründet. Es war an der Zeit, Kritik an der aktuellen politischen Praxis zu üben. Am Beispiel des Sportplatzumbaus haben wir einen offenen Brief geschrieben. Bis heute sind die meisten GemeindevertreterInnen eher ausgewichen und davongelaufen, als auf unsere Anliegen zu reagieren.
Eine Politik des Ausweichens
Nach dem Brief und den Spruchbändern, die wir am Sportplatz aufgehängt hatten, bekamen wir Sätze zu hören wie: „Da gibt’s nichts zu reden“, „Das stimmt nicht“, „Sowas tut man nicht“ oder „Wem es nicht passt, der kann ja eine Liste gründen“. Das Gefühl hat sich breit gemacht, dass in der Wattener Gemeindestube kein Raum ist für die Fragen, Vorstellungen und Bedenken der Bürgerinnen und Bürger. Dass man vielmehr als Wissensgegner und Konkurrent gesehen wird.
Immer wieder betont die Gemeindeführung, wie wichtig ihr die aktive Einbindung der Bevölkerung sei. In der Praxis hat sie die Leute wiederholt vor Tatsachen gestellt, an denen nicht mehr zu rütteln ist. Geht es um große Entscheidungen und damit um oft große Ausgaben, bleiben andere Sichtweisen weitgehend auf der Strecke. Mit viel Energie werden erstarrte Strukturen aufrecht erhalten. Probleme entstehen dadurch wie von selbst.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Der Wunsch aus der Bevölkerung, bei wichtigen Fragen stärker eingebunden zu werden, bevor die gewählten VertreterInnen eine Entscheidung treffen, wird immer deutlicher. Der Wunsch ist bislang nicht in Erfüllung gegangen.
Steht in Wattens ein kommunales Vorhaben an, etwa die Neuausrichtung des Sportareals oder die Gestaltung des Kirchplatzes, erfährt man kaum Details zur Entscheidungsfindung – etwa wer eingebunden war oder um welche Argumente es ging.
Im Sommer 2019 flattert ein Postwurf in die Wattener Haushalte. Er kündet vom „neuen öffentlichen Wohnzimmer“, von der Begegnungszone am Kirchplatz. Zu diesem Zeitpunkt steht das Projekt schon in so gut wie allen Details fest. Von den Abwägungsprozessen und Argumenten, die zu dieser Entscheidung des Gemeinderates geführt haben, finden nur wenige ihren Weg in die Öffentlichkeit. Und so muss die Bevölkerung im Nachhinein mit großer Energie von den Vorzügen des neuen Platzes überzeugt werden. Wiederholt sehen sich viele vor vollendete Tatsachen gestellt.
Manchmal ist der Sack noch nicht zu – und ein Gemeindeprojekt erst im Werden. In dieser Phase werden ab und an Fragen gestellt, die auch für andere Bürgerinnen und Bürger von Interesse sind. Es wäre konsequent, die Fragen öffentlich zu beantworten. Das passiert aber allzu selten.
Immer wieder kommt es vor, dass Menschen sich zum Stand eines Gemeindevorhabens erkundigen. Sie schreiben eine Mail an den Gemeinderat oder nutzen die Bürgermeldungen (eine digitale Plattform für die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bevölkerung). Ausführliche Informationen zu laufenden Projekten bleiben in der Regel aus. Dabei könnte auch die gähnende Leere auf der Gemeinde-Webseite gut mit Wissenswertem gefüllt werden.
Mit mehr Transparenz würden sich viele Nachfragen erübrigen. Warum legt die Gemeindeführung nicht mehr Wert auf öffentliche Information?
Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden
Manchmal bleibt als letzter Ausweg nur eine Petition. Sie ist ein Instrument unserer demokratischen Ordnung. In Wattens stößt dieses Instrument an seine Grenzen.
Das zeigte sich etwa im Jahr 2019, als es um die Neugestaltung des Sportgeländes ging. Im Jahr zuvor hatte die Gemeindeführung öffentlich betont, dass sie eine „bestmögliche Entscheidung für alle Beteiligten“ anstrebe. Für die Sportgemeinschaft war das, was dabei herauskam, keine gute Sache: Sie sah sich mit einer neuen Leichtathletik-Anlage konfrontiert, die zwar viel Geld kosten, aber nur eingeschränkt nutzbar sein würde. Einer der Kritikpunkte war, dass besonders durch den Wegfall der 400-Meter-Laufbahn keine Leichtathletik-Bewerbe mehr möglich sind. In der Gemeindestube stieß der ehrenamtliche Verein auf wenig Gehör. So startete er eine öffentliche Petition zum Erhalt der Leichtathletik-Anlage. Sie wurde von 240 Menschen unterschrieben. Trotz dieser beachtlichen Zahl kam keine inhaltliche Reaktion der Politik. Stattdessen äußerten Mitglieder des Gemeinderates ihren persönlichen Unmut über das Abhalten einer solchen Petition.
In unserer komplexen Welt gibt es nicht mehr die eine kleine Gruppe, die die Lösung hat. Ist es noch zeitgemäß, wenn die Mitglieder einer Gemeindeführung die alleinige Rolle sowohl der Entscheidungs-finder als auch der Entscheidungs-träger haben? Oder braucht es heute nicht die Leistung von Vielen, um zu einem guten Interessenausgleich zu kommen? Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen heißt, den Denkraum zu weiten. Es kann dazu führen, blinde Flecken zu erkennen, bessere Lösungen zu erreichen. Wenn sich Politik und Bevölkerung annähern, profitieren beide Seiten.
Alte Muster, neue Wege: Warum wir nicht aufgeben
Wir sind bereit, an einem modernen Demokratieverständnis mitzuarbeiten. Dafür braucht es einen größeren Raum, den es in Wattens noch nicht gibt. Und so sehen wir unsere Aufgabe weiterhin darin, andere Sichtweisen einzubringen.
In Wattens stecken die Herangehensweisen zur Entscheidungsfindung in alten Strukturen fest, die vor Jahrzehnten vielleicht noch ihre Berechtigung hatten. Vorhaben werden hinter verschlossenen Türen auf den Weg gebracht und im Gemeinderat häufig einstimmig durchgewinkt. Der Bevölkerung werden sie als gute Entscheidungen für alle präsentiert. Folgt Kritik, wird diese oft ignoriert und ausgesessen.
Für immer mehr Menschen ist ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel oder ein unverbindlicher Austausch zu wenig. Eine moderne politische Praxis bindet das Erfahrungswissen und die vielfältigen Interessen der Bürgerinnen und Bürger stärker ein. Das Vertrauen in die Politik und in die demokratischen Institutionen könnte gestärkt werden. Lassen sich EntscheidungsträgerInnen hingegen mehr von ihren eigenen Vorstellungen leiten, bleibt kein Platz zum Mitgestalten. Ein Ja oder Nein zu BürgerInnenbeteiligung ist nicht von der Finanzkraft der Kommune abhängig, sondern allein vom politischen Willen.
In unserer Zeit, in der alle Ressourcen knapper werden, brauchen wir neue Herangehensweisen, auch im Gemeinwesen. Ein breiterer Interessenausgleich wird notwendig sein. Können wir uns dazu als Gesellschaft besser organisieren? Können wir uns im Vertrauen ergänzen und uns um Vielfalt bemühen? Wie kommen wir dorthin? Und sind wir überhaupt bereit dazu?
Lydia Steiner und Alexander Erler