„Bürgerbeteiligung kann man lustvoll üben“

Immer öfter ist von Bürgerbeteiligung die Rede. Aber was heißt das überhaupt? Das haben wir auch Bertram Meusburger gefragt. Er ist Mitarbeiter im Büro für freiwilliges Engagement und Beteiligung in Vorarlberg und hat über zwanzig Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet. Am 18. September hielt er einen Vortrag im Jakob-Gapp-Haus.

„Die Zukunft der Beteiligung“ nennt Meusburger seine Präsentation. Doch anstatt für Bürgerbeteiligung zu begeistern, stellt er gleich zu Beginn klar: „Es ist mühselig, langwierig, anspruchsvoll. Das kann man nicht einfach aus dem Ärmel schütteln.“ Beteiligung sei auch weniger eine Frage des Könnens oder der Ressourcen oder der Einbindung von Experten. Sondern eine des Wollens. Daher sei am ehrlichsten, als erstes diese einfache Frage zu beantworten: „Will man es oder will man es nicht?“

Bürgerbeteiligung dürfe auch nicht mit Vereinsarbeit vermischt werden, betont Meusburger. „Das Engagement von Vereinen ist sehr wichtig, um Menschen in ihren Interessen abzuholen. Bei Bürgerbeteiligung geht es aber darum, Menschen in Entscheidungsfindungen einzubinden. Das ist also auch eine Machtfrage.“

Doch wozu überhaupt BürgerInnen einbinden? Schließlich gebe es ja eine gewählte Gemeindevertretung. „Unsere Ansprüche, Lebensstile und Vorstellungen gehen immer weiter auseinander“, so Meusburger. „Darum müssen wir Möglichkeiten finden, damit diese Spaltung nicht zu groß wird.“ Die Herausforderung sei daher, kontroverse Positionen und Interessen zusammenzubringen. Dafür brauche es die richtigen Voraussetzungen: „Wenn wir wollen, dass Menschen mittun, wenn sie Teil der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft und unseres Dorfes sein sollen, dann müssen wir sie einladen, abholen und befähigen. Als Politiker, als Gemeinde, als Verantwortliche müssen wir den geeigneten Rahmen schaffen“. Braucht es dazu ein neues politisches System? Nein, meint Meusburger, sondern ein gutes Zusammenspiel aus repräsentativer, direkter und partizipativer Demokratie.

Die drei Stufen von Beteiligung

Bürgerbeteiligung ist im Wesentlichen auf drei Stufen aufgebaut: „Information“ auf der untersten Stufe, in der Mitte „Konsultation“, ganz oben „Mitbestimmung“. Das Mindestmaß sei, dass die Gemeindevertretung Information bereitstellt. Etwa über das Anschlagen von Protokollen oder durch Postwurfsendungen. Auf der zweiten Stufe, der Konsultation, bittet die Politik die Menschen um Rat zu bestimmten Themen, etwa durch eine Befragung oder im Rahmen einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung. Mitbestimmung als höchste Stufe heißt, BürgerInnen in Entscheidungsprozesse einzubinden. Für Meusburger ist Bürgerbeteiligung letztlich alternativlos, wenn es um Akzeptanz und eine gemeinsame Umsetzung geht: „Sie kann einen wirklich tollen Beitrag leisten, damit eine Entscheidung ganzheitlicher, umfassender und langfristiger gedacht wird.“

Aber was tun mit all den gegensätzlichen Meinungen? Etwa wenn eine Straße neu gestaltet werden soll und sich die einen ein Straßencafé wünschen, die anderen aber Parkplätze? Bertram Meusburger, der als ehemaliges Mitglied einer Gemeindevertretung um die politischen Mühen nur allzu gut Bescheid weiß, rät zu Dialog und Verständnis: „Wenn ich die ganzen unterschiedlichen Standpunkte nicht höre und vor allem nicht verstehe, was dahintersteckt, werde ich meine Entscheidung nur oberflächlich oder von meiner persönlichen Sichtweise her fällen.“

Zugleich warnt er vor voreiligen Entscheidungen. Als es vor fünfzehn Jahren im Großen Walsertal darum ging, einen Biosphärenpark ins Leben zu rufen, waren Widerstände fast schon vorprogrammiert. Darum nahmen sich die Verantwortlichen ganze zwei Jahre Zeit, um das Projekt gemeinsam mit den BürgerInnen vorzubereiten. Meusburger erinnert sich: „Erst da ist das Verständnis gewachsen, was so ein Biosphärenpark überhaupt sein kann. Nachher waren sehr viele Leute ziemlich scharf darauf, auch wirklich etwas umzusetzen.“ So etwa wurden Gemüsekisten gegründet, ein Qualitätssiegel für Gasthäuser entstand und Schulbildungsprogramme wurden entwickelt.

Bürgerbeteiligungsprozesse dauern in der Regel länger als herkömmliche Entscheidungen. Und sie kosten Geld. Langfristig, gibt Meusburger zu bedenken, seien sie aber billiger, weil dadurch Widerstand sinke und Akzeptanz gefördert werde. Entscheidend sei, wie Beteiligung gemacht wird. Ein Patentrezept gibt es nicht.

Die Öffentlichkeit ins Spiel bringen

Politik, Wirtschaft und Experten würden Dinge häufig untereinander ausmachen, die Öffentlichkeit bleibe außen vor. Um sie stärker einzubinden, brauche es einen Paradigmenwechsel. Meusburger erklärt, wie das ausschauen könnte. „Politiker stehen nicht mehr an der Spitze der Pyramide, sozusagen als Befehlsausgeber an die Bürgerinnen und Bürger. Stattdessen öffnen sie einen Raum, bringen Menschen zusammen, entwickeln Methoden. In diesem Modell haben Politiker die Rolle der guten Gastgeber.“ Letztlich bleibe es ein Zusammenspiel aus top down- und bottom up-Elementen, die eine gute Politik ausmachen. Das dürfe aber nicht mit Willkür verwechselt werden.

Um einen guten Rahmen für Beteiligung zu schaffen, setzt das Büro für freiwilliges Engagement und Beteiligung seit Jahren auf die Methode „Art of Hosting“ – die Kunst, gute Gespräche zu führen. Perfektion sei hier fehl am Platz, spricht Meusburger aus langjähriger Erfahrung: „Es kommt nicht so sehr drauf an, dass man Bürgerbeteiligung zuerst in- und auswendig lernt. Sondern dass man relativ schnell beginnt und übt, übt, übt. Wir müssen Orte schaffen,“ so Meusburgers Hauptbotschaft, „wo wir Bürgerbeteiligung lustvoll und regelmäßig lernen und üben können.“

Vorarlberg ist heute ein Vorreiter in Sachen Bürgerbeteiligung. Dorthin kam das Land auch durch das Beteiligungsprojekt „Bürgerrat“. Bis zu fünfzehn Menschen werden per Zufall aus dem Melderegister ausgewählt. Begleitet von einem professionellen Moderationsteam, arbeiten sie zwei Tage lang an einem vorgegebenen Thema. Die Ergebnisse werden zunächst in einem Bürgercafé der Bevölkerung vorgestellt und nachher vor Politik und Experten präsentiert. Dann ist die Politik in der Pflicht, erklärt Meusburger: „Sie müssen die Ergebnisse nicht umsetzen, aber sie müssen den Bürgern einen Brief schreiben, was aus den Vorschlägen geworden ist. Das ist eine sehr gute Feedbackschleife.“

Geht es um Bürgerbeteiligung, sagt Bertram Meusburger am Ende des Abends, „dann geht es um eine Kulturveränderung. Mit welchem Selbstverständnis stehen wir morgens auf und laufen durch die Gemeinde? Fühlen wir uns verantwortlich für das, was hier passiert? Wollen wir uns mit den Machtfragen wirklich auseinandersetzen? Werden wir aber auch dazu befähigt, uns einzumischen? So etwas passiert nicht von heute auf morgen.“ Genau das sei der Punkt: Mit Bürgerbeteiligung beginnt erst die Arbeit. „Und damit dabei der Atem nicht ausgeht, muss man Beteiligung von Anfang an lustvoll gestalten. Das heißt, man hat eine Gaudi miteinander, man experimentiert, man lernt, man probiert immer wieder neue Formen aus, Man spürt, dass es Wirkung hat.“

Bertram Meusburger arbeitet im Büro für freiwilliges Engagement und Beteiligung in Vorarlberg, einer Präsidialabteilung, die direkt dem Landeshauptmann zugeordnet ist. Meusburger hat über 20 Jahre Erfahrung in Bürgerbeteiligung, war Mitglied einer Gemeindevertretung und liebt es, sein altes Boot herzurichten – mehr als darauf zu segeln.